(Gedanken eines Wanderers zur Außerordentlichen Vollversammlung unseres Vereins vom 4. April 2023)

Wandern war auch in früheren Zeiten für mich nie ein Fremdwort gewesen, doch mein organisiertes Gruppenwandern begann erst gegen Ende des Jahres 2016, als ich mich anlässlich eines Tiefpunktes meines Lebens nach neuen Horizonten umschaute. In solcher Situation geriet ich mehr zufällig in die Arme der Leipziger „Wander-Legende“ Wolfgang Buchwald vom Verein Leipziger Wanderer e.V. (VLW), dessen Präsident er lange Zeit gewesen war.

Der Kontakt zwischen mir und Wolfgang Buchwald erwies sich als recht ersprießlich und führte in der Folge zur Gründung einer neuen lokalen Wandergruppe, den „Engelsdorfer Füchsen“. Ich selbst konnte bei der Gründung gar nicht anwesend sein, sondern lag zu dieser Zeit (Okt./Nov.2016) nach einer existenziell bedrohlichen Diagnose samt daraus folgender OP im Krankenhaus und versuchte während anschließender Reha langsam wieder Boden unter die Füße zu bekommen, während Wolfgang alles in seine bewährten „Wandergruppen-Gründer-Hände“ nahm. Die neue Gruppe entwickelte sich unter ihrer aktiven, klugen und verdienstvollen (und „nebenbei“ auch noch sympathischen 🙂 Leiterin Barbara Malige bald zu einer Erfolgsgeschichte. Sowohl für die Gruppe als auch für den o.g. Dachverein VLW.

Ich brachte mich nach meiner „Wiederauferstehung“ in diese Gruppe sowohl als gelegentlicher Wanderleiter und auch als Art Wanderchronist ein, der die Mitglieder am Jahresende dreier Wanderjahre mit einer kleinen Broschüre über die absolvierten Wanderungen erfreute. Auch sonst unterstützte ich unsere Barbara, die ich längst auch als gute, überaus kompetente und vertrauenswürdige Freundin bezeichnen kann, mit meinen Möglichkeiten in ihrer Arbeit.

So weit, so gut die Vorgeschichte!

Am Anfang unserer gedeihlichen Zusammenarbeit wusste ich allerdings noch nichts davon, dass es in Leipzig zwei, mehr oder weniger konkurrierende Wandervereine gab. Später, ich fühlte mich in unserer Gruppe etwas im Zwielicht zwischen Genusswandern und anspruchsvollerem Sportwandern, kam ziemlich automatisch auch die Existenz jenes zweiten Vereins, des Allgemeinen Leipziger Wanderverein e.V. (ALW) in den Fokus meines Interesses. Ohne Kenntnis der Zusammenhänge solcher Duplizität, war das für mich instinktiv zunächst mal ein Anachronismus, den es natürlich auch zu hinterfragen galt.

Damit beginnt die eigentliche, titel-gebende Geschichte erst richtig:

Denn die oben erwähnte Suche führte mich eines Tages auch zur Weitwandergruppe des „anderen“ Vereins und den dort unter ihrem Leiter Peter Feser auf längeren Pisten Wandernden, später auch hin und wieder zu Vereinswanderungen des „anderen“ Vereins. Und siehe da – wer hätte das gedacht? 🙂 – alle wurden von mir als genauso nette, sympathische und kompetente Wandersleute wie die vom eigenen Verein wahrgenommen. Alle wollten, hier wie dort, auch alle bloß eines: Wandern, dazu etwas Geselligkeit und Kultur erleben und genießen.

Was hatte ich doch da im Vorfeld alles für Schauergeschichten über den jeweils anderen Verein, gehört? Beim genaueren Hinhören jedoch nie über das einfache Wanderfußvolk, nur über die jeweiligen Alpha-Tiere der Vereine, wo irgendwas vorgefallen war, was schließlich zur Trennung in zwei Vereine geführt hatte. Jedoch wer da mit wem welche Kämpfe ausgefochten oder dem Anderen gar persönliche Verletzungen zugefügt hatte, das blieb für mich unklar, weshalb ich mir auch versagte, als relativ Außenstehender darüber zu befinden und einseitige Positionen dazu einzunehmen. Es wird wohl – wie das nun mal ist, wenn zwei sich streiten – keine Seite hierbei weder Ansprüche als Waisenknabe oder auf einen Heiligenschein geltend machen können. Es konnte deshalb nicht um die Bewertung von Vergangenem, sondern primär nur um Wege zur Beendigung des Anachronismus des Gegeneinander zweier Wandervereine gehen. Wo ich mich doch wandermäßig selbst, wie viele andere auch, längst als „Kreuz- und Quer-Wanderer“ fest bei beiden Vereinen etabliert hatte. Sich damit dort beim „Fremdwandern“ neue Freundschaften entwickelten, sich neue Wertschätzungen, sowohl zum Wanderfußvolk als auch zu den jeweiligen Leitern ergaben.

Das Thema einer Wiederannäherung beider Vereine stand damit natürlich unterschwellig stets auf meiner inneren Agenda.

Als zu diesem Thema jedoch mal jemand, der auch mal unser Präsident gewesen war, es aber inzwischen – warum auch immer – vorgezogen hatte, unseren Verein zu verlassen, mir mit so absoluter Bestimmtheit sagte: „Das kommt überhaupt nicht infrage. Mit denen reden wir überhaupt nicht mehr, das kannst du dir völlig aus dem Kopf schlagen“, wurde mir klar, dass, unabhängig davon, was tatsächlich vorgefallen war, vor allem eine unüberwindlich scheinende Mauer von verletzten Befindlichkeiten und Vorurteilen einiger weniger Führungspersonen seit rund einem Jahrzehnt das Klima zwischen beiden Vereinen dominierte, was eine Annäherung beider Vereine tatsächlich aussichtslos erscheinen ließ.

Von einer biologischen Lösung wurde gar als einziger Möglichkeit oft geredet. Eine Formel, mit der sich wohl viele, zwar unzufrieden aber eher gelassen, bereits abgefunden hatten.

Somit buchte auch ich zunächst alles unter „Schnee von gestern“ ab und beschloss, wenn sich die Situation mal ergeben sollte, mich vielleicht als Brückenbauer zu versuchen.

Solche Situation schien mir mit dem Wechsel an der Spitze unseres Vereins gekommen. Und so fasste ich alle meine Gedanken in einen langen, völlig neutral, jedoch mit etwas philosophischem Tiefgang gespickten Text zusammen, in dem ich gar die deutsche Wiedervereinigung metaphorisch nutzte. Motto: Was jahrzehntelang weltpolitisch unmöglich schien und dann plötzlich doch Wahrheit wurde, sollte das nicht auch zwischen zwei Wandervereinen möglich sein?

Diesen Text schickte ich dann im Frühjahr 2022 gleichlautend an beide Wandervereinschefs, Willy Ehrig und Dieter Lommatzsch. Zwar ohne große Erwartungen, jedoch mit dem erleichterndem Gefühl: Hast wenigstens nicht nur drüber geredet, sondern auch etwas getan.

Das Jahr verging, ich wanderte wie gehabt kreuz und quer. Mal mit „meiner“ Barbara und der eigenen Gruppe, mal mit Willy und dessen Gruppe, mal mit Peter Fesers Weitwandergruppe der „Anderen“, mal mit „deren“ öffentlichen Vereinswanderung, gern auch mal individuell mit jener Ulla, über die ich einst überhaupt erst zur genannten Weitwandergruppe gestoßen war.

Plötzlich im neuen Jahr, konkret zur Leipziger Wintertour 2023 am 21. Januar, musste ich mir kurz die Augen reiben. War ich hier im falschen Film? Nicht nur, dass etwa 60 Mitglieder vom anderen Verein, dem ALW, bei uns mitwanderten, sondern im Anschluss hakten sich beide Vorsitzenden Willy Ehrig und Dieter Lommatzsch, zusammen mit dem Landesverbandpräsidenten Felix Pechmann unter, ich bekam ein Handy in die Hand gedrückt und Dieter meinte: „Hier, mach schnell mal ein Bild von uns!

Was war da plötzlich geschehen?

Was geschehen war, das erläuterte später Dieter Lommatzsch anschaulich in einem Gastbeitrag zu unserer Vollversammlung am 21. Februar: Allein schon dieser Fakt, der Vorsitzende vom „anderen“ Verein mit einem Gastbeitrag bei uns? Undenkbar bislang. Nun jedoch und in der Folgezeit plötzlich ein Stück neue Normalität.

Wer hier das Wort „historisch“ bemühen möchte, dürfte damit kaum übertreiben. Eine Sternstunde, nicht nur für unseren Verein, sondern für die ganze Leipziger Wanderbewegung war es allemal.

Geschehen war konkret folgendes: Da hatte sich doch zur Weihnachtszeit unser Präsident Willy ein Herz gefasst und seinem Amtskollegen Dieter vom anderen Verein einfach einen Weihnachtsgruß geschickt. Nach den Verwerfungen der vielen Jahre, gehörte dazu gewiss auch etwas Courage für solchen ersten Schritt. Allein dafür gebührt ihm unser Dank. Anderseits war Willy gewiss auch ein durch die Vergangenheit eher Unbelasteter, was alles erleichterte. Diesem Dieter jedoch, zunächst überrascht aber wohl doch erfreut, fiel nichts Besseres ein, als einfach zum Hörer zu greifen und seinen Amtsbruder anzurufen.

Über was die beiden sich da unterhalten haben, ist nicht überliefert, doch das man sich mal treffen wolle, um sich über dies und jenes auszutauschen, wird wohl mit dabei gewesen sein.

Und plötzlich war alles wie weggeblasen, was jahrelang die Atmosphäre vergiftet und eine Zusammenarbeit weitgehend unterbunden hatte. Die Probleme, die so lange wie ein mächtiger Elefant im Raum gestanden hatten, schienen plötzlich verschwunden, hatten sich quasi in ein Nichts aufgelöst. Waren zumindest so klein und lächerlich geworden, um sich nach so vielen Jahren daran weiter hochzuschaukeln.

Mit Bezug auf meine erwähnten beiden Briefe:         

                Fast ein Deja-vu- Erlebnis! Ähnlich jenem vom deutschen Wunder des 9. November 1989.

Inzwischen ist das Eis wohl endgültig gebrochen. Beide Vereine reden und wandern nicht nur miteinander, sondern planen sogar gemeinsam die nächsten Schritte zur Weiterentwicklung der Leipziger Wanderbewegung. Neben der Tagesarbeit standen dabei zunächst als nächste Schritte die Gründung eines Nordsächsischen Wanderverbandes (NWSV) auf der Agenda, sowie später der gemeinsame Beitritt als neuer Verband zum zentralen Sächsischen Wander- und Bergsportverband (SWBV).

Der erste Punkt, die Gründung des NWSV, erfolgte bereits am 24. Februar.  Damit wurde einem, auf Sachsens Regionalwanderverbands-Karte bislang „weißem Fleck“ im Nordwesten Sachsens/Leipzig nun Farbe, Name und Gesichter verliehen“. In jener, dazu bereits am 21. Februar vorab stattgefundenen Vollversammlung zu diesem Thema, wurde leider trotz der o.g. Sternstunden-Atmosphäre dieses Tages und der dabei öffentlich vollzogenen Aussöhnung beider Wandervereine, zunächst eine entsprechende Beschlussvorlage noch mit kleinkarierten, vorgestrigen „Wenn und Hätte-Argumenten“ kaputtgeredet. Dieser plötzlichen Veränderung der „Leipziger Wander-Großwetterlage“, dieser speziellen Art von Zeitenwende, vermochte wohl mancher emotional noch nicht zu folgen. Das wurde dann erst in einer weiteren Außerordentlichen Vollversammlung am 4. April möglich, wo der Beschluss über den Beitritt zum neugegründeten Verband (zusammen mit dem ALW und vorläufig sieben anderen) mit überwältigender Mehrheit gefasst wurde. Damit wären zunächst die Voraussetzungen für die Aufnahme in den SWBV als einen nächsten logischen Schritt gegeben. Einige noch zu vernehmende „Wenn und Hätte-Argumente“ auch zu diesem Schritt schienen in dieser Versammlung jedoch weitgehend ausdiskutiert und sollten kein Hindernis mehr sein.

Man darf gespannt sein, wie alles weitergeht. Ob es der Leipziger Wanderbewegung neue Impulse verleiht, ob einige der geäußerten Vorbehalte stärker zu Buche schlagen als angenommen und deshalb bei den Organisationsstrukturen oder Arbeitsweisen nachjustiert werden müsse. Ob sich weitere regionale Vereine dem neuen Verband anschließen und ob die erläuterten Vorteile, die für die Mitglieder in den neuen Konstellationen gesehen werden, auch spürbar gemacht werden können.

Jedenfalls hatte nun mit überwiegender Mehrheit die Vernunft, Pragmatismus sowie gesunder Menschenverstand und Zukunftsoptimismus über gestriges, hemmendes Denken und Verhalten obsiegt.

Mit solchem Optimismus sollte es auch gemeinsam möglich sein, einige wenige, sich bislang mit Vorbehalten zu den Veränderungen geäußerten Stimmen, weiter voll in unserer Wandergeschehen integriert zu halten. Jemandem etwas jahrelang nachzutragen, das sollten wir gelernt haben, ist keine Lösung!

Glückwunsch für alle Wanderinnen und Wanderer unserer Region. Und immer eine Handbreit intakter Sohle unter den Wanderschuhen!

*

Und ich, der sich hier als Chronist der geschilderten Vorgänge versucht hat, bin recht zufrieden mit solcher Entwicklung.
                Nicht dass ich mir einbilde, mein unterschwellig beharrliches Werben für eine Annäherung beider Vereine und meine beiden Briefe könnten dafür entscheidend gewesen sein. Viel wahrscheinlicher ist, dass sich bei den beiden Protagonisten über die Zeit einfach nur gesunder Menschenverstand durchgesetzt hat.
 Aber trotzdem, falls jemand doch denken sollte, dass ich mit meinen Aktionen vielleicht ein kleines bisschen zum Stimmungsumbruch und zu jener speziellen Form von „Zeitenwende“ in der Leipziger Wanderszene beigetragen haben könnte, ich damit wenigstens das Thema am Köcheln gehalten habe, warum sollte ich dem widersprechen?

 

Manfred Steinert                                                                                                          Leipzig, am 4. April 2023.

 

Wandergruppe „Engelsdorfer Füchse“

des Vereins Leipziger Wanderer e.V.

Ein Kommentar

  • Lieber Manfred, das hast Du bestens zusammengefasst, ich habe aus der Ferne diese Alphatier-Kämpfe auch nur Kopf schüttelnd wahrgenommen. Dabei habe ich Dieter Lommatzsch die Gründung unserer Wandergruppe “Elsteraue” im September 2009 zu verdanken, die Trennung war dann allerdings auch der Grund, dass mein Mann und ich nicht die Wanderleiter-Ausbildung gemacht haben, weil es dann im selbständigen Leipziger Wanderverein zu kompliziert wurde und ein bisschen auch aus Protest! Schön, dass der NWSV gegründet wurde, ich wünsche ihm – uns -viel Erfolg. Neue Impulse und neue Mitglieder sind dringend notwendig!
    Mit freundlichen Wandergrüßen
    Angelika Herrmann

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